Überleben im Krankenhaus
Mit ganz viel Geduld, einem festen Nervenkostüm und einer Menge Glück.
Nach einem Unfall im ->Oktober 2020 wurde ich mit einer geschwollenen, eitrigen und blauschwarz angelaufenen Wade in die Notaufnahme verbracht. Zuerst mal in Quarantäne, bis das Ergebnis des Coronatest vorliegt. Bis dahin wurde mir ein Mullverband verpasst. Nach sechs Stunden rollte ich dann mit einem organisierten Rollstuhl vor die Eingangstür und traf dort auf einen Herrn in weißer Dienstkleidung. Dieser Herr bemerkte mein Bein, schnappte sich meinen Rollstuhl und ein paar Minuten später hatte mich der Chirurg auf den OP- Tisch verfrachtet. Ohne Rücksicht auf "Haben sie gegessen?" und meiner Straßenkleidung wurde ich ins Land der Träume versetzt und die Wunde fach- und sachgerecht versorgt. Die Blutvergiftung wurde gestoppt. Das war der absolute und einzige, glückliche Höhepunkt in der ganzen Zeit.
Das Essen und auch die Versorgung durch die Stationsmitarbeiter waren akzeptabel. Bei einigen Sachen musste zwar mehrfach nachgehakt werden, aber im Großen und Ganzen konnte man leben. Das die Zimmer architektonisch weit an den Anforderungen vorbei gebaut sind und bei labileren Menschen auch mal einen Koller auslösen, wollen wir nicht ignorieren. Die zwei von mir benutzten Zimmer hatten Fenster zu einem Innenhof und waren von der gegenüber liegenden Galerie einsehbar. Unter einer Privatatmosphäre stelle ich mir was anderes vor. Damit ich aber nicht das Gleiche mache, waren die unteren Hälften meiner Fenster zugeklebt. Toll, erinnerte mich an den Film "Ein Stück vom Himmel".
Zwei Wochen später ging es dann per Krankentransport in den Vorhof der Hölle. Die nun folgenden fünf Wochen haben mir 12 kg Gewicht gekostet und mich zwei Mal an den Rand eines Nervenzusammenbruches geführt. Wer durch die Hölle will hat hier ein ideales Trainingsgelände.
Eine wohl abgestimmte Ernährung ist die halbe Genesung. Wir kennen alle die dünnen Wurstscheiben aus den 100g Verpackungen der Discounter. Die Harburger schafften es diese dünnen Scheiben nochmals zu halbieren. Zum Frühstück gab es, auf einen einmaligen Wunsch, zwei Brötchen, eine Scheibe Mortadella, eine Scheibe Käse, natürlich auch halbiert und 10g Marmelade. Ach ja, Zucker und Butter ohne Ende. Wofür prüften die eigentlich täglich Blutzucker und Cholesterin? Ich hatte in Summe vier halbe Brötchen und für drei Belag, gestreckten Belag aufgemerkt. Selbst die zweite Tasse Kaffee war teilweise ein Geduldsspiel. Zum Mittag gab es eine Speisekarte mit 16 Gerichten. Sieben Gerichte konnten sofort gestrichen werden da sie von der Beschreibung schon als ungenießbar galten. Fünf Wochen a sieben Tage sind 35 Mahlzeiten heißt 3,8 Mal die Speisekarte rauf und runter. Also Gulasch mit Nudeln, Minischnitzel mit Minikartoffeln und verkochten Erbsen, verkochtes Fischfilet und noch einige weiter kulinarische Ergüsse.
Da ich strengste Bettruhe hatte mussten die Mahlzeiten an diesen wackeligen Betttisch eingenommen werden. Betttisch ist gut, Systemhalterung für Fernsehen und Radio wäre die bessere Bezeichnung. Da ließ sich das Kleckern nicht ganz vermeiden. Ist ja nicht tragisch, irgendwann viel das dann auf und die Bettdecke wurde gewechselt oder man bekam ein Handtuch zum Unterlegen das aber auch nicht automatisch gewechselt wurde. Die sicherste Lösung war der Wunsch nach einem neuen Handtuch und das Benutzte solange festhalten bis man Ersatz hatte. Das gleiche Tuch verwendeten wir auch zum Abtrocknen wenn wir uns mir den Feuchttüchern versuchten den Schweiß der Nacht vom Körper zu waschen. Zum Glück hatten wir diese Feuchttücher in ausreichender Menge im Bad, so dass mich mein Bettnachbar damit versorgen konnte. Ist nur schlecht wenn er kein Deutsch versteht und mein Russisch sich auf "doswidanje" und "blagodarya" beschränkt.
Der Toilettengang war mit einem Ruf nach dem Pfleger verbunden. Meist kam eine Praktikantin oder eine weibliche Hilfskraft: "Das darf ich nicht, da müssen Sie auf die Pflegerin warten!" Also eine gute Zeitplanung, wann man die Klingel benutzte und die Toilette benötigte, war unausweichlich. Als Lösung erhielt ich einen Blasenkateder und die berüchtigte Bettpfanne. Später dann wohlwollend einen Rollstuhl, den ich mir mit organisierten Ersatzteilen aus anderen Rollstühlen zu einem halbwegs funktionierenden und anforderungsgerechten Gerät machte.
Auf Grund der Verletzung und der eingelegten Vakuumpumpe war ein Verbandswechsel meist mit einer Vollnarkose im OP verbunden. "Sie kommen um 8.00 Uhr in den OP!" Leider wurde mir nicht immer der Tag genannt, so konnte es dann passieren dass man zwei Tage am Stück kein Frühstück bekam und auch das Abendessen, Vollkornbrot plus Marmelade, sich erst nach massiven Rabatz bewegte. Das ausgefallene Mittagsmahl befand sich auf den Weg in die Vernichtung.
Die Besuche im OP waren ein richtiges Abenteuer. Der hausinterne Bringedienst fuhr mich mit meinem kompletten Bett durch die Flure und anschließend mit einem neuen Bett wieder zurück. Nur die Zeiten wann er mich fuhr waren immer ein Abenteuer? Vier Stunden im Aufwachraum, mit den zugehörigen Nebengeräuschen und Fingerdrehen als Beschäftigung, konnten schon zehren.
Der Zugang zum OP erinnerte mich an einen Besuch in unseren ehemaligen Schlachthof. Nicht gerade Vertrauen erweckend und so sieht mein Körper heute auch aus. Vier Chirurgen stehen an meinem Bett und schwören jeden Meineid dass ich mir keine Sorgen machen muss. Mist, hätte ich bloß auf meine innere Stimme gehört dann wäre mir manche Quälerei und eine hässliche, störende Narbe erspart geblieben. Als Invalide kam ich, als Krüppel gehe ich.
Jeder Narkosearzt meinte es besser zu wissen als sein Kollege und legte mir, meist in den Handrücken, einen eigenen Eingang für das Narkotikum. In der Glanzzeit hatte ich sieben Eingänge, verteilt auf zwei Arme und Hände. Versuche dann mal einen Pfleger zu finden der dir wenigstens die Handrücken befreit und nicht auf den Arzt verweist. Nach ein paar Versuchen und organisatorischen Maßnahmen hatte ich dann alles beschafft um mir die Eingänge selber zu ziehen. Darüber wurde noch nicht mal gesprochen. Ich glaube bis heute ist es dem Personal nicht aufgefallen und wenn doch ging man darüber hinweg. Als Ersatz kam allmorgendlich der "Vampir" und saugte mir für weitere Untersuchungen Blut ab. Meine Venen brauchen den Vergleich mit einem Süchtigen nicht scheuen.
Das internationale Pflegepersonal? Wo fängt man an? Morgens um fünf Uhr Blutdruck, Puls und Zucker prüfen. Ach ja, den Tropf mit dem Antibiotika wollen wir nicht vergessen. Wenn ich Glück hatte wurde dieser dann zum Frühstück entfernt um zwei Stunden später neu angehängt zu werden. Neun Uhr bei meinem Bettnachbarn Blutdruck, Puls und Zucker. Am Abend dann Ausgabe der Medikamente. Den obligatorischen Tropf und das erneute Messen von Blutdruck und Puls wollen wir nicht vergessen. Irgendwann zwischenzeitlich und nicht kalkulierbar, wurde täglich Blut abgenommen. Dafür kam der vorhandene Tropfeingang nicht in Frage. Es musste neu gestochen werden. Auch die Visite ließ sich je nach Belegung zwei oder auch dreimal blicken. Bei meinem Bettnachbarn dann um Mitternacht Blutdruck, Puls und Zucker bevor ich um Fünf Uhr mit derselben Prozedur und einem neuen Tropf geweckt wurde. Wer keine Arbeit hat macht sich halt welche. Hier zähle ich nicht das Pflegepersonal an. Bis auf eine Ausnahme, Zitat: "Ihre Gesundheit ist mir Scheißegal!", war jedenfalls zu bemerken dass man sich bemühte die Pflege halbwegs aufrecht zu halten. Neben den ganzen Zusatztätigkeiten klappte dies nur meist nicht. Kam dann noch ein Notfall hinzu brach alles zusammen. Das hat nichts mit Corona zu tun. Das ist der Wasserkopf.
Mit Abstand ist und war die Parkettkosmetiker die sauberste Mitarbeiterin im Haus. Sie entfernte das, was dem Pflegepersonal und Ärzten so im Laufe des Tages alles herunterfiel oder von den Isolierstationen mit den Schuhen hereingetragen wurde. Mir fehlt, nach einem ihrer Besuche, meine wollende Radmütze.
Ein Wort will ich nicht mehr hören: "prophylaktisch!"
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Eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Werner- Film ist rein zufällig und nicht beabsichtigt und auch nicht gegeben. Die Realität hat den Film überholt.
Was unbedingt mitgebracht werden muss: Neben der Zahnbürste, ein Verlängerungskabel mit Mehrfachsteckdosen für z.B. dem Handy. Scharfes Messer zum Brotschneiden und eine Schere zum Öffnen der Medikamententüten. Zusatzverpflegung und Getränke. Ein Multitool wäre auch nicht schlecht um alles was defekt ist wieder halbwegs in die Gänge zu bekommen. Ohrenstopfen und eine Augenbinde für erholsamen und gesunden Schlaf. Eine Bettjacke gegen den Durchzug ist empfehlenswert und nicht zu vergessen, ein internationales Wörterbuch um mit dem Pflegepersonal zu kommunizieren.